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Tag 4

Island 2019

Island im Winter – Der Golden Circle im Schnee

 

„Oh nein, jetzt hatten wir so ein Glück mit dem Wetter und jetzt das!“, jammere ich vom Fahrersitz aus. Von Stykkisholumur auf der Snaeffelsnes Halbinsel fahren wir an diesem Morgen mit unserem SUV auf der Straße 54 Richtung Borganes, als zunächst Regentropfen auf die Windschutzscheibe platschen, die schnell zu Schneeregen und schließlich zu dicken Schneeflocken werden.

Wir sind auf dem Weg zum Golden Circle. Einer der beliebtesten Ausflugsziele in Island. Bei jedem Stopover und jeder Kreuzfahrt wird diese rund 400 km lange Tour angeboten, um von Reykjavik aus, einen ersten Eindruck von Island zu vermitteln. Julia war schon mal im Sommer dort und ist überhaupt nicht überzeugt von dieser Region. Zu voll, zu touristisch. Und ich kann vorwegnehmen, dass auch im Winter, diese Route nicht der Schönheit von Island gerecht wird. Trotzdem gehört sie selbstverständlich dazu. Sie führt über den Pingvellir Graben, zum Gullfoss Wasserfall und zum aktiven Geysir Strokkur.

Der Golden Circle im Schnee

White Out im Pingvellir Nationalpark

„Das ist wohl dann mal ein White Out“, sage ich mit aufkommender Panik. Ich habe schon viel über dieses Phänomen gelesen, aber es tatsächlich zu erleben, fühlt sich vollkommen surreal an. Wären da nicht Straßenbegrenzungen und vereinzelt Islandpferde bedeckt mit Schneeflocken am Straßenrand, wüsste ich nicht, dass wir uns überhaupt auf einer Straße befinden. Dort wo eben noch ein klar erkennbarer Weg im Schnee sichtbar war, ist jetzt alles einfach nur noch weiß. Ich habe jedes Gefühl von Distanz verloren.

„Das ist ja wie in der Serie Trapped – Gefangen in Island“ lacht Julia neben mir „Wahnsinn.“ Ja, Wahnsinn, so fühlt es sich vor allem auch als Fahrer an. Ich klemme mich steif hinters Lenkrad und hoffe, dass wir bald irgendwas erreichen, was man Asphalt nennen kann. Stattdessen fahren wir noch eine Weile völlig allein durch weißes Nichts. Der Schnee wird immer dichter und die Sicht immer schlechter. Ein Blick auf die Website www.road.is, die jederzeit die aktuellen Straßenverhältnisse Islands anzeigt, verrät, den Grund der Einsamkeit: Um uns herum wurden die Straßen geschlossen.

Pferde entlang der Straße Nr. 36

Pingvellir – Geologische und historische Sensation

Nach rund 3 Stunden Fahrt durch Schnee und Eis erreichen wir schließlich den Parkplatz vom Pingvellir. Hier befindet sich eine riesige Felsspalte, die durch das Auseinanderdriften der eurasischen und amerikanischen tektonischen Platten entstand. Neben dieser geologischen Sensation ist diese Stätte auch historisch bedeutend. Auf dem Parlamentsplatz, einer der ältesten Versammlungsorte, traf sich bereits seit 930 einmal im Jahr eines der ältesten Parlamente der Welt zur Versammlung „Althing“. So ist es nicht verwunderlich, dass dieser Ort, auch 1944 ausgewählt wurde, um die Republik Island auszurufen.

„Hm, sollen wir hier wirklich aussteigen?“ frage ich skeptisch. Um uns herum weiße Leere,  keine Autos, keine Menschen. „Von dem Graben sieht man vor lauter Schnee wahrscheinlich sowieso nichts?!“ antwortet Julia. So ist es beschlossene Sache, dass wir hier keinen Stopp einlegen, sondern als erstes das Highlight des Golden Circles ansteuern: Den Gullfoss – einer der bedeutendsten Wasserfälle Islands.

Der Gullfoss Wasserfall

Gullfoss – der goldene Wasserfall

Nach weiteren 70 km über die Straße Nr. 35 erreichen wir den berühmten Wasserfall. Hier sind wir nun auch nicht mehr allein. Mehrere Reisebusse und Autos stehen auf dem Parkplatz.  Es schneit heftig und wir werfen erst einmal die Regenhose und die wärmste wasserabweisende Outdoorjacke über unser Outfit aus Skiunterwäsche, Softshellhose und Fleecepulli. Für unsere Kamera haben wir einen Regenschutz eingepackt.

Über einen kurzen, aber rutschigen Fußweg und mehrere Treppen erreichen wir das erste Felsplateau, von dem wir den goldenen Wasserfall bestaunen können. Wir sind überrascht wie Touristen hier mit Stiefeln mit hohen Absätzen laufen können, während wir uns kaum mit unseren Outdoor Boots am Boden halten. Schließlich aber erreichen wir die Absperrungen und versuchen den eindrucksvollen Wasserfall in seiner ganzen Schönheit in Augenschein zu nehmen. Gischt und Schnee peitschen uns ins Gesicht, der Geräuschpegel des fallenden Wassers ist ohrenbetäubend, dennoch ist der Anblick dieses kraftvollen Wasserfalls atemberaubend schön.

„Gischt und Schnee peitschen uns ins Gesicht, der Geräuschpegel des fallenden Wassers ist ohrenbetäubend, dennoch ist der Anblick dieses kraftvollen Wasserfalls atemberaubend schön“

Der Gullfoss zählt zu den bekanntesten und größten Wasserfällen der Insel. Er wird gespeist von dem mächtigen Fluss Hvitá, der aus dem Langjökull Gletscher Richtung Süden fließt und hier in zwei Kaskaden insgesamt 32 Meter in die Tiefe stürzt. Wir steigen die Treppen wieder hinauf und folgen den Fußweg Richtung Westen zu einem weiteren Aussichtspunkt. Hier hat man einen sehr guten Ausblick auf die 2,5 km lange und 70 Meter tiefe, zerklüftete Schlucht des Flusses und die erste Kaskade, die rund 11 Meter misst.

Dass wir den Gullfoss heute überhaupt noch als Wasserfall bestaunen dürfen, haben wir  Sigrídur Tómasdóttir vom Nahe gelegenen Hof Brattholt zu verdanken. Sie verhinderte 1920 den Bau eines Elektrizitätswerkes. Den für die Natur zurück gewonnen Wasserfall haben die Isländer daher besonders ins Herz geschlossen.en.

Am Strokkur Gelände

Wir verlassen das Gelände des Gulfosses und erreichen nach 10 Minuten auf der Straße Nr. 35 das geothermal aktive Tal Haukadalur. Hier befinden sich die Geysire Strokkur und der große Geysir, der wohl Namensgeber aller Geysire ist. Heute ist er kaum noch aktiv und findet daher wenig Beachtung. Dabei brach er im Jahr 2000 mit einer Fontäne von 120 Metern aus und zählte daher zu einem der höchsten Geysire der Welt.

Der Strokkur hingegen ist einer der aktivsten Geysire Islands und bricht ca. alle fünf  Minuten mit einer kochenden Wassersäule von rund 20 Meter aus. Natürlich wollen wir dieses Highlight nicht verpassen, obwohl wir gänzlich hinter unserem Zeitplan liegen. Es ist bereits 16 Uhr und wir haben noch gute 100 Kilometer durch unwegsames Gelände vor uns.

Strokkur – der aktivste Geysir Islands

Wir folgen einem unscheinbaren Fußweg, der sich auf der anderen Straßenseite des Parkplatzes befindet. Er führt uns durch ein Feld von brodelnden Wasserlöchern und dichten Schwaden aus Wasserdampf. Der Geruch von Schwefel steigt mir in die Nase. Es wirkt surreal, wie die kalten Schneeflocken förmlich vom kochenden Untergrund verschluckt werden. Um uns herum warnen Schilder, den Weg nicht zu verlassen, denn der Boden ist 80 bis 100 Grad heiß.

Nach einigen Metern erreichen wir den Strokkur. Fast unscheinbar wirkt das Wasserloch, das mit Seilen abgesperrt ist. Aber die vielen Menschen mit Handys und Kameras in der Hand verheißen, dass hier gleich was passiert. Also machen auch wir uns bereit für dieses Naturschauspiel. Zunächst fängt das Wasser an zu brodeln, bis sich schließlich eine türkisblaue Wasserglocke bildet und der Strokkur das heiße Wasser eindrucksvoll in die Luft speit. Wenige Sekunden nur hält das Wunder an, bis die Säule in sich zusammenfällt und nichts als eine vermeintliche Pfütze übriglässt.

Mystische Stimmmung am Nachmittag

Irgendwo im Nirgendwo

„Was ist das?“ frage ich Julia entsetzt. Wir haben die Geysire hinter uns gelassen und sind wieder auf der Straße, denn wir wollen unsere Unterkunft bei dieser Witterung unbedingt bei Tageslicht erreichen. Nach einem weiteren White Out auf unserer Strecke blendet uns nun rosafarbenes Licht durch dichten Nebel. Ich kann dieses Phänomen überhaupt nicht einordnen. „Ob das Feuer ist, ob es hier irgendwo brennt?“. „Ich komme mir vor wie im falschen Film“ erwidert Julia vom Beifahrersitz.

Wir biegen auf eine Schotterpiste, die Nr. 365 in Richtung Nesjavellir, ab. Immerhin ist diese ebenfalls schneebedeckt, was das Fahrgefühl durch den Grip irgendwie sicherer macht. Alles andere fühlt sich überhaupt nicht sicher an. Wir sind allein zwischen Bergen und Seen und Tonnen an Schnee, eingetaucht in rosafarbenen Dunst. Irgendwo im Nirgendwo. Mit 30 km/h schleiche ich über die Schneepiste, als sich endlich der Nebel lichtet und uns klar wird, was hier brennt: Die untergehende Sonne.

Und plötzlich liegt die malerische Schneelandschaft wunderschön und mystisch vor uns. Am Horizont sehen wir Dampf aufsteigen. „Und hier soll unser Hotel sein?“ Ja, neben einem Geothermal Werk sehen wir tatsächlich endlich unser Hotel – das Ion Adventure. „Tja, hier ist wohl Name Programm“, kommentiert Julia passend. Wir haben es geschafft. Just in time. Wenige Minuten später bricht die Dunkelheit über uns hinein.

Nordlicht? Fehlalarm!

„Da unser Hotel vollkommen abgeschieden von der Außenwelt liegt, haben Sie hier besonders gute Chancen das Nordlicht im Winterhalbjahr zu erleben“, erklärt uns die Rezeptionistin beim Einchecken. Natürlich lassen uns für den Nordlicht-Alarm eintragen – bedeutet: Taucht das Naturschauspiel am nächtlichen Himmel auf, erhält man einen Weckruf. Für weiterte Aktivitäten bin ich heute nicht mehr zu haben, obwohl dieses wunderschöne Hotel sogar ein Spa Bereich mit Außenpool hat.

Im hoteleigenen Restaurant Sifra belohnen wir uns schließlich nach der abenteuerlichen Fahrt mit einer nordischen Fischspezialität, einem Arctic Char und einem  verdienten Glas Wein. „Auf ein echtes Winter Abenteuer!“

Nordlicht erleben wir in dieser Nacht leider nicht mehr. Geweckt werden wir aber trotzdem – vom Feueralarm. Dutzende Gäste rennen hysterisch mit Fotoapparaten im Schlafanzug in den Schnee und suchen vergeblich nach dem tanzenden grünen Licht am Himmel. „Fehlalarm, kein Feuer!“, ruft die Rezeptionistin und fügt mit einem Augenzwinkern hinzu „Und auch kein Nordlicht!“, als sie das Missverständnis erkennt.

Ach Island – du bist immer für eine Überraschung gut.

Geothermalwerk im Nirgendwo

Meine Tipps:

Entdecken:

Pingvellir: Die Felsspalte entstand durch das Auseinanderdriften der eurasischen und amerikanischen tektonischen Platten. Auch der Versammlungsplatz lohnt einen Besuch. Hier tagte eines der ältesten Parlamente der Welt.

Gullfoss: Der bekannteste Wasserfall Islands stürzt in zwei Kaskaden in die Tiefe. Seinen Namen „goldener Wasserfall“ hat er von der Farbe des Wassers im Sommer.

Strokkur und Geysir: Die gewaltige Wassersäule wird ca. alle 5 Minuten von Strokkur, dem aktivsten Geysir Islands in die Luft gespeit. Der große Geysir, Namensgeber aller Geysire, liegt aktivlos als Wasserloch wenige Meter daneben

Schlafen:

Ion Adventure Hotel: Das Hotel liegt vollkommen abgeschieden und bietet daher besonders gute Chancen auf Nordlicht. Auch das Spa lohnt einen Besuch. Der Hot Tub ragt eindrucksvoll in die verlassene Winterlandschaft.

Essen:

Ion Adventure Hotel: Das hoteleigene Restaurant Sifra bietet eine exquisite isländische Küche. Ich kann besonders den Arctic Char empfehlen.

Den kompletten Roadtrip Guide findet ihr in meinem Blogpost: 7 Tage Roadtrip durch Islands Winter

 

Die Reise wurde selbst bezahlt. Alle Hinweise zu Unterkünften, Restaurants, Ausflugsanbietern und Sehenswertem sind meine persönlichen Empfehlungen und entsprechend unbeauftragte und unbezahlte Werbung.

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